Dienstag, 30. September 2008

Tödliche politische Ideologie im Fall "Kevin"

Andre F. Lichtschlag äußert sich auf ef-online zum Fall "Kevin", dem bedauernswerten Kind, das vermutlich von seinem eigenen drogensüchtigen Vater ermordet wurde, obwohl es unter der Vormundschaft des Jugendamtes stand. Die Behörden verfolgten die sog. "Bremer Linie", "Kinder eher bei ihren drogenabhängigen Eltern zu lassen als in einem Heim unterzubringen." (DIE WELT) Was bei Lichschlags Artikel auffällt - aber nicht wirklich überraschen kann, wenn man sich die libertäre Ideologie vor Augen führt, die er vertritt - ist ein komplettes Umschiffen der zentrale Frage, ob die Behörden den drogenabhängigen Eltern (später dem noch verbleibenden Vater) das Kind hätten wegnehmen sollen. Da Kinder nicht das Eigentum ihrer Eltern sind und bei Drogensüchtigen festgestellt werden muss, dass sie einem Kurs der Selbstdestruktion folgen -was sie als Eltern vollkommen abqualifiziert - wäre diese Frage doch überaus legitim, und die Antwort kann unter Betrachtung aller Fakten nur daraus bestehen, eine solche Verpflichtung des Staates zu bejahen. Der Staat hat die Individualrechte mit seinen Organen zu verteidigen und im Fall von Kindern auch gegenüber ihren Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten. Die libertäre Ideologie trifft sich allerdings an dieser Stelle mit den sog. "Bremer Linie" von Bürokraten und Politikern im Geiste der 68er Kulturrevolution. Für die erstgenannten ist jedes staatliches Handeln per se schlecht, für die Letztgenannten ist staatliches Handeln von ihren jeweiligen Launen abhängig, und sobald ihnen ihr Feindbild eines "gierigen Kapitalismus" abgeht, sind sie von solch einer "Liberalität" - die in Wahrheit nur Nihilismus ist -, dass sie durchaus zu einer gemeinsamen Plattform mit den Libertären kommen können. Tödliche politische Ideologie.

Welche Krebsepedemie

Einer der unverantwortlichsten Artikel, den die Zeitschrift eigentümlich frei in den letzten Monaten veröffentlicht hat, stammt von Torsten Engelbrecht (seine Website macht er mit einem Nietzsche-Ziat auf), der in der September-Ausgabe unter der Überschrift "30 Jahre Krieg und kein Sieg in Sicht" veröffentlicht wurde. Der Autor wird als "Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalist" vorgestellt und seine von eifrei verbreiteten Thesen lassen den Leser ins Grübeln darüber kommen, was diesen Artikel für die Veröffentlichung in einem radikalliberalen Blatt qualifiziert. Was behauptet der Autor? Zunächst einmal soll es eine Krebsepidemie geben. Dieses Wort verwendet er zwar nicht, aber es ist genau das, was er meint. Nun ist Krebs überwiegend eine Alterserkrankung und mit einer zunehmenden Lebensdauer -wie sie die westlichen Gesellschaften ermöglicht- würden eben diesen Krankheiten zunehmen. Torsten Engelbrecht behauptet aber einen Anstieg von Krebserkrankungen quer durch alle Altersgruppen, wozu er eine Statistik aus dem Buch Cancer-Gate: How to Win the Losing Cancer War von Samuel S. Epstein abdruckt. Seltsamerweise wird in dem Artikel allerdings nie erklärt, wieso es zu derartig signifikanten Anstiegen bei einzelnen Krebsarten überhaupt kommen konnte. Wer sich allerdings die Leserkritiken des Buches von Samuel S. Epstein -von Engelbrecht als "internationale Autorität"(man beachte die Wortwahl: nicht "Kapazität", sondern "Autorität")- einmal auf Amazon.com ansieht, sieht sich in seinen Vermutungen bestätigt, dass die moderne Industriegesellschaft, vor allem die chemische Industrie, als Verursacher dieser Entwicklung angesehen wird. Ein Leser beschreibt, dass Dr. Epstein ein "beinahe enzyklopädisches Wissen darüber hat, wie Chemikalien unsere Umwelt vergiftet haben." Aber damit nicht genug: Wo uns Chemikalien vergiften, droht weiteres Ungemach dann, wenn wir tatsächlich krank geworden sein sollten, denn die Pharmaindustrie ist ignorant und geldgierig. Ignorant, weil sie der "Gen-Mutations-Hypothese" anhängt, die "Voodoo Science" gleichkommt. Kein Wunder also, dass die Pharmaindustrie keine wirksamen Medikamente präsentieren kann, was sie allerdings nicht davon abhält, uneffektive Medikamente zu horrenden Preisen auf den Markt zu bringen, weil sie, wie Engelbrecht Samuel Epstein zitiert, "mehr daran interessiert (sei), Reichtum anzuhäufen, als Leben zu retten." Was hier in einer radikalliberalen Zeitschrift präsentiert wird ist nichts anderes als das ökologistische Dogma, dass die Produkte der chemischen Industrie eine Epidemie bei menschlichen Krebserkrankungen verursacht, gleich noch gepaart mit dem antikapitalistischen Dogma, dass die Pharmaindustrie geldgierige Abzocke betreibt. Aber gibt es überhaupt die beschriebene Krebsepidemie? Nein, sagt der Wissensschaftsjournalist Ronald Bailey von der liberalen Zeitschrift REASON. Zahlen der American Cancer Society (siehe auch Cancer Facts & Figures 2005) weisen einen Rückgang der Krebserkrankungen seit den frühen neunziger Jahren aus. Die erhöhten Zahlen von Brust- und Prostatakrebserkrankungen in den achtziger Jahren gehen zurück auf verbesserte Früherkennungsmethoden, was dazu führte, dass die Zahlen temperär anstiegen, was aber nichts mit dem Auftreten einer Epidemie zu tun hat. Auch die 5-Jahres-Überlebensrate hat sich erhöht, was aus dem Zusammenspiel aus verbesserter Früherererkennung und verbesserten Behandlungsmethoden zurückgeht. So berichtet die Tageszeitung DIE WELT gerade von einer verdopptelten Überlebensrate nach fünf Jahren im Vergleich zu 1985 bei Patienten mit Dickdarmkrebs, immerhin die zweithäufigste Krebserkrankung in Deutschland. Die verringerten Krebszahlen haben auch nichts zu tun mit veränderten Chemikalien oder einem veränderten Einsatz von Chemikalien, da diese nur zu einem sehr geringen Umfang überhaupt für Krebserkrankungen verantwortlich sind (1-5 %): "Die Hauptursache der Krankheit ist das Rauchen, was für ungefähr 30 % der Krebsfälle verantwortlich ist. Die Ernährung -speziell der Verbrauch von tierischem Fett- ist für 20 bis 50 % verantwortlich, und die natürlichen Fortpflanzungshorme machen 10 bis 20 % aus. Ein großer Teil der Rückgänge bei den Erkrankungen und den Todesfällen kann dem scharfen Rückgang bei der Zahl der Raucher zugeschrieben werden." Soweit Ronald Bailey. Wenn eigentümlich frei in Zukunft wieder Bedarf an Wissenschaftsthemen hat, sollte die Zeitschrift einfach auf solch kompetenten und aufgeklärt-liberalen Autoren wie Bailey zurückgreifen.

Anmerkung: Erstveröffentlichung am 15. 01. 2006

Mittwoch, 24. September 2008

Ronald Reagan, vom Demokraten zum Republikaner

In der Ausgabe 44 (Juli-August 2004) von eigentümlich frei befindet sich eine Übersetzung eines Artikels von David Boaz zum Gedenken an Ronald Reagan. Dort heiß es unter anderem: "Als Liberaler, der sich nach rechts bewegt hat, hätte man ihn den 'ersten Neokonservativen' nennen können. Aber er war liberaler Antikommunist und kein Kommunist, wie es die wirklichen Neokonservativen waren." Der englische Originalartikel von Boaz wurde vom Cato Institute im Internet veröffentlicht. Dort heißt die Passage: "As a liberal who moved to the right, he might have been called the first neoconservative. Except that he had been a liberal anticommunist, not a communist like the original neoconservatives." Hier spielt Boaz darauf an, dass Reagan ursprünglich Demokrat ("liberal") gewesen war, also in etwa "Linksliberaler" oder "Sozialdemokrat" nach europäischem Verständnis, bevor er 1962 in die Republikanische Partei eintrat. Als Demokrat war Reagan aber bereits "Antikommunist gewesen" (!), wie Boaz schreibt. Dann folgt der Hinweis auf einige der ursprünglichen "Neokonservativen", die vorher Kommunisten gewesen waren, genauer Trotzkisten (zur "Theorie", dass es sich bei den amerikanischen Neokonservativen um verkappte Trotzkisten handeln soll, siehe Richard Herzinger) In der Übersetzung entsteht der Eindruck, dass Reagan während seiner Amtszeit "liberaler Antikommunist" gewesen ist, da jeder Hinweis auf Reagans politischen Seitenwechsel fehlt und der Begriff "liberal" einfach übernommen wurde. Der gesamte Artikel versucht Reagan in einen Gegensatz zu bringen zu den heutigen Neokonservativen, auch Präsident Bush, wo doch die Parallelitäten, im Guten wie im Schlechten, doch zu offensichtlich sind. Reagans Antikommunismus scheint sich vollständig in Worten erschöpft zu haben, Aufrüstung oder militärische Einsätze finden in der Darstellung von Boaz gar nicht statt. Die Freilassung der Geiseln in der amerikanischen Botschaft im Iran hätte durchaus eine Erwähnung wert sein können, denn sie stellte sicherlich den ersten außenpolitischen Erfolg der neuen Administration unter Reagan dar, allerdings hätte Boaz dann auf Reagans sehr drohende Rhetorik während seines Wahlkampfs gegenüber dem iranischen Regime eingehen müssen, was dann wohl doch eine zu starke Parallele zu Bush jun. hätte bedeutet und somit lieber unterlassen wurde.

Freitag, 4. Juli 2008

Nein zur libertären Staatsverneinung

In einem Beitrag zur sog. "Liberalismusdebatte" definiert das Blog Liberty and Reason die libertäre Position als eine, die den Staat "als eigenständiges und notwendiges Konstrukt für Frieden anerkennt."
Eine derartiges Bekenntnis zum Staat findet sich allerdings bei der Libertarian Party der USA nicht und dies ist durchaus kein neues Phänomen. Schon bald nach ihrer Gründung im Jahr 1971 sollte die Partei einen grundsätzlichen Kurswechsel vornehmen, an dem sich bis zum heutigen Tag nichts geändert hat. Die Libertarian Party ist zwar keine explizit anarchistische Partei und die Mehrheit ihrer Mitglieder besteht auch nicht aus erklärten Anarchisten, gleichwohl ist die LP eine Anti-Staat-Partei, die ihre Motivation aus ihrer Ablehnung staatlicher Aktivitäten bezieht, wo aus einem weniger an Staat ein mehr an Freiheit resultieren soll. Anarchisten und Minarchisten können im Rahmen des Programmes der LP (National Platform of the Libertarian Party) kooperieren, weil die Mehrheit der Minarchisten den Staat nur als "notwendiges Übel" ansieht und und in ihren philosophischen Prämissen ("Subjektivismus") den Anarchisten so nahe ist, dass sie keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der eigenen Position und der der Anarchisten auszumachen vermag. Die libertären Minarchisten würden zwar nie den Knopf "Anarchie jetzt" drücken, aber die anarchistische Vision ist ihnen sympathisch und sie halten ihre Umsetzung für möglich, wenn auch nicht für sehr wahrscheinlich. Diese beiden Gruppierungen sind durchaus in der Lage, ein gemeinsames Programm zu formulieren, wo sie zum Beispiel unumwunden die Abschaffung von CIA und FBI fordern, unter der Prämisse der Sicherung der "Freiheit" selbstverständlich. Ursprünglich hatte die Partei allerdings durchaus anerkannt, dass es staatliche Funktionen gibt, die notwendig zur Verteidigung der Freiheit sind. Die Plattform von 1972 forderte im außenpolitischen Teil sogar eine "ausreichende nukleare Kapazität, die jeden potenziellen Aggressor davon überzeugt, dass er nicht darauf hoffen kann, einen Erstschlag gegen die USA zu überleben." In ihrem neuen Programm von 1974 räumte die LP allerdings mit diesen und anderen Programmpunkten auf, die auf die Notwendigkeit der Verteidigung der Individualrechte durch den Staat schließen lassen. Es wird nur noch negativ aufgezählt, was der Staat nicht tun darf (Andre F. Lichtschlag erwähnt dies auch in seinem Buch Libertarianism, S. 58/59). Die Zeitschrift The Libertarian Forum (Herausgeber: Murray N. Rothbard) vom Oktober 1974 spricht dann auch von einer "enormen Verbesserung" gegenüber dem alten Programm von 1972. Dieses alte Programm sei "neo-randianisch" gewesen (Ayn Rand selbst muss bewusst gewesen sein, dass das ursprüngliche Programm der LP ihren Ansichten ähnelte. Als sie 1972 in der Ford Forum Hall gefragt wird, was sie von der Libertarian Party hält, antwortet sie zwar negativ, äußert aber keine Zurückweisung des Programms. Erst 1976 anwortet sie an gleicher Stelle: "Sie sind keine Verteidiger des Kapitalismus.") und sei übersät mit Phrasen wie "the proper function of government is ..." Dies seien "provokative Phrasen" gewesen, wie ein rotes Tuch ("red flag to the bull"), da die einzig angemessene Funktion des Staates daraus bestehe, zu verschwinden. Das Programm von 1974 bekennt sich zum Beispiel zum Grundsatz der "Restitution" (nicht mehr der Bestrafung des Kriminellen) als dem "Hauptzweck" des Strafrechts. Im außenpolitischen Teil lobt das Libertarian Forum neben der schon erwähnten Streichung der Formel von der "ausreichenden nuklearen Kapazität" den Übergang zur einer "genuin isolationistischen Politik", die aus dem Grundsatz der "Nicht-Intervention" und der "de facto Anerkennung" aller Regierungen bestehe, wo die alte Plattform noch gefordert hatte, dass nur "legitime" Regierungen anerkannt werden sollen. Die Phrase von der "Nicht-Intervention" wendet das Programm des Anarchismus auf den Bereich der Außenpolitik an. Es ist die Position, die behauptet, dass der Staat niemals handeln dürfte, und wenn er es tue, sei dies tyrannisch. In einem offenen Amoralismus wird der Übergang von einer Position, die zwischen legitimen und nicht-legitimen Regierungen unterscheidet und derjenigen Position, die alle Regierungen, gleichgültig wie tyrannisch, anerkennen will, als großer Fortschritt gefeiert. Der Begriff "Nicht-Intervention" versucht Kapital zu schlagen aus der legitimen Ablehnung von Übergriffen der Regierung gegen legitim erworbenes Eigentum oder den Versuch, solches Eigentum zu erwerben, indem es als Intervention eben solche staatliche Aktivitäten bezeichnet, die durch Gewalt verhindern sollen, dass eben solches Eigentum zerstört und entzogen werden kann. Diese beiden völlig unterschiedlichen Akte der "Intervention" werden von den Libertären in einem Akt des "Package-Deal" zusammengeworfen, um die Unterschiede zwischen beiden zu verwischen. Wer immer sich heute als "Libertärer" versteht und die objektivistische Position teilt, dass der Staat moralisch ist, wenn er die legitimen Funktionen der Verteidigung, der Justiz und der Polizei auf der Basis eines objektiven Rechts mit großem Nachdruck und der Unparteilichkeit eines Roboters wahrnehmen muss, sollte überdenken, ob er sich durch diese Selbstbeschreibung nicht einem Lager zuordnet, dass die Freiheit nicht verteidigen kann und auch keine Vorstellung davon hat, was Freiheit überhaupt ist.

Donnerstag, 3. Juli 2008

Ein Diskussionsforum, das nicht diskutiert

Andre F. Lichtschlag, der Herausgeber der libertären Zeitschrift eigentümlich frei hat in einem Beitrag für das Freiheitsforum (zur Zeit inaktiv) einen 1965 für die Zeitschrift konkret geschriebenen Aufsatz der späteren Terroristin Ulrike Meinhof, der sich mit der Bombardierung von Dresden im Februar 1945 befaßt, als "das Beste" bezeichnet, was er je zu dem Thema gelesen habe. Frau Meinhof bezieht sich in dem Text positiv auf den Geschichtsrevisionisten David Irving und setzt die Bombardierung Dresdens mit den Morden in den Konzentrationslagern gleich: "Als die deutsche Bevölkerung die Wahrheit über Ausschwitz erfuhr, erfuhr die englische Bevölkerung die Wahrheit über Dresden. Den Tätern wurde der Ruhm versagt, der ihnen von den Regierenden versprochen worden war. Hier und dort." Interessant: Der Text löste überhaupt keine Diskussion aus. Immerhin verdreht der Text Fakten, zeigt moralischen Relativismus, und unterstützt Appeasement und Pazifismus. Keine Gründe für eine Diskussion?